Meine Lieben,
mittlerweile bin ich schon über einen Monat zuhause. Ich brauchte erst mal etwas Zeit für mich selber anzukommen, entschuldigung deshalb an die, bei denen ich mich bisher noch nicht persönlich gemeldet habe. Dazu mache ich gerade noch mein Vollzeit-Pflegepraktikum im Krankenhaus, das mir natürlich auch noch Zeit stiehlt.
Ich habe natürlich mich unglaublich gefreut wieder zu Hause anzukommen, bin aber mitten ins Sommerloch gekommen. Es war so unglaublich still! Keine spielenden Kinder überall und keine rasenden Mopeds! Und plötzlich hatte man nicht rund um die Uhr Freunden und Verwandte um sich. Und brrr wird es kalt abends.
Eins der ersten Dinge, die ich gemacht habe: Mich auf eine grüne Wiese gesetzt. Dies ist nämlich in Saigon gar nicht so einfach. Erstmal muss ein Fleckchen Grün überhaupt finden. Will man sich dann setzen, kommt prompt schon einer der vielen Polizisten vorbei und scheucht einen mit grimmiger Miene wieder runter. Andererseits fande ich es so seltsam, abgepacktes Fleisch im Supermarkt zu sehen. Was für ein Tierteil und überhaupt was für ein Tier das mal war, war ziemlich schwer zu erahnen. Ich war ja für ein Jahr lang nur gewöhnt, Fleisch auf einem Markt zu sehen, wo die Händlerinnen und Händler einem ein frisches Stück abschnitten (Was sicherlich auch nicht schön anzusehen war).
Also jede Menge gemischte Gefühle, die da aufgetaucht sind.
Und zu dem Jahr selber: Ein wirklich schönes Jahr! Ich habe meine Wurzeln besser kennengelernt. Wer vielleicht auch Migrationshintergrund hat, wird dieses Gefühl verstehen: Man ist in Deutschland aufgewachsen, fühlt sich als Deutsche, und trotzdem ist man „die Asiatin“ für alle anderen. In das Heimatland der Eltern passt man auch nicht so richtig rein, weil man die Sprache nicht perfekt spricht und an eine andere Kultur gewöhnt ist.
Dieses Jahr hat mir unglaublich geholfen, mich mit meiner Kultur und meiner Herkunft auseinanderzusetzen. Ich habe den Geburtsort meiner Mutter gesehen, konnte mir vorstellen, wie meine Großmutter Nachtisch an einem kleinen Straßenstrand verkauft… Ich habe verstanden, warum meine Eltern manchmal „strenger“ als in Deutschland üblich waren, in Vietnam wäre eine Ausgehzeit für minderjährige Mädchen bis 12 Uhr unvorstellbar.
Und das ist in meinen Augen die Lösung für die Identitätskrise vieler Migrantenkinder: Es muss nicht immer ganz sein, man kann ruhig Deutsche und Vietnamesin sein. Zwei Kulturen müssen sich nicht ausschließen. Es macht das Leben sogar reicher und einen selber verständnisvoller für andere Kulturen. „Reich, aber nicht vollkommen“, schrieb eine Autorin in der Braunschweiger Zeitung.
Am Anfang haben immer wieder Schwierigkeiten mit der Vermieterin und diverse Sprachschwierigkeiten einen runtergezogen. Auch dachte ich, nach spätestens einem halben Jahr würde ich Vietnamesisch wie eine Saigonerin sprechen. Was einfach schwer möglich war, da Vietnamesisch eine sehr schwierige Sprache ist und ich dazu an der Germanistik-Fakultät gearbeitet habe. Trotzdem hat es sich stark verbessert und es ist so schön, mich mit meinen Großeltern unterhalten zu können!
Vor allem in dem zweiten Halbjahr hatte ich das Gefühl, wirklich nützlich in der Deutschabteilung zu sein. Es wurde mir zugetraut einen ganzen Vormittag selber zu unterrichten- dabei war ich selber noch gar keine Studentin. Und ich habe viele Diktate vorlesen dürfen, Grammatik und Aussprache erklärt.
Und da sind noch meine lieben Freunde, die ich durch dieses Jahr gewonnen habe. Es spricht für sich, dass Charlotte und mich ein Pulk von bestimmt 15 Leuten am Flughafen verabschiedet haben und viele Tränen geflossen sind. Nicht daran denken, sonst werde ich wieder traurig. 😦
Nächste Woche ziehe ich erst mal um nach Köln und finde es etwas schade, nachdem ich meine Heimatstadt neu schätzen gelernt habe, schon wieder abzuhauen.
Eine Bitte habe ich noch: Meine Mitfreiwillige und ich versuchen Na, einem Mädchen aus Sapa, zu helfen, indem wir ihr eine Facebook-Seite bauen und Spenden für ein neues Haus sammeln. Sie ist in dem gleichen Alter wie ich, ernährt aber schon mit ihrer Schwester die fünfköpfige Familie. Ein so tapferes und trotzdem lustiges und fröhliches Mädchen. Klickt mal rein!
https://www.betterplace.org/de/projects/18386-ein-neues-haus-fur-na-lo-thi-und-ihre-familie/
https://www.facebook.com/profile.php?id=100006130184930
Ein großes DANKESCHÖN an diejenigen, die an mich während des Jahres gedacht und mich unterstützt habt. Ohne euch wäre dieses Abenteuer nicht möglich geworden.
Eure Kim